Die Ludwigsvorstadt ist multikulturell geprägt, die Isarvorstadt gilt eher als hip. Da sie zusammen einen Stadtbezirk Münchens bilden, werden sie häufig in einem Atemzug genannt.
Zur Ludwigsvorstadt gehören der Hauptbahnhof und das südliche Bahnhofsviertel mit dem Deutschen Theater. Auch das Oktoberfest auf der Theresienwiese findet hier statt. Zur Isarvorstadt zählen die Museumsinsel mit dem Deutschen Museum, sämtliche Isarbrücken und die drei links der Isar gelegenen Szeneviertel Gärtnerplatz-, Glockenbach- und Schlachthofviertel.
Die gesamte Gegend entstand im 19. Jahrhundert auf dem Reißbrett. Davor landeten hier am Ufer der Isar die Flöße aus dem Oberland an. Die vom Fluss abgeleiteten Stadtbäche lieferten das Wasser für Gerbereien, Bleichereien und Mühlen. Auch ein Pestfriedhof, der heutige Südfriedhof, war damals schon außerhalb der ehemaligen Stadtmauer am Westermühlbach zu finden. Entlang dieses Baches verläuft die Grenze, wo die Ludwigsvorstadt in die Isarvorstadt übergeht.
Deshalb ist das heutige München für mich ein Paradies mit seiner Isar, in der man baden kann, mit seinem tadellosen Leitungswasser, und eben wegen dieser Stadtbäche.
Jeder befreite Bach erfreut mein Herz. Vor allem in einer 1.5-Millionen-Stadt. Es gab ja diese Zeit, da war Wasser nichts wert. Da hat man es zugeschüttet, unter die Oberfläche verbannt und einbetoniert. Oder es schwammen Schaumberge darauf. Deshalb ist das heutige München für mich ein Paradies mit seiner Isar, in der man baden kann, mit seinem tadellosen Leitungswasser, und eben wegen dieser Stadtbäche. Besonders im Herbst, wenn es früh dunkel wird, gehe ich gerne am Westermühlbach entlang spazieren. Keine Viertelstunde vom Sendlinger Tor entfernt, umfängt dich hier noch eine richtige Dunkelheit, genau richtig zum Joggen mit Stirnlampe oder für einen Laternenumzug.
Oder ich laufe durch den Südfriedhof und treffe unvermutet auf Gräber, wie das des Malers Carl Spitzweg oder auch des Kutschers Franz Xaver Krenkl. Von ihm ist überliefert, dass er mit seinem Gespann verbotenerweise die Kutsche von König Ludwig I. überholte und diesem statt einer Ehrerbietung ein freches „Wer ko der ko“ (wer kann, der kann) entgegenrief. Hier liegen sie begraben, die Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kunst, die Dienstleister und Privatiers aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Gegenüber des Friedhofs findet seit über zehn Jahren in der Adventszeit auf dem Stephansplatz der Pink Christmas statt, der „rosarote Stern unter den Münchner Weihnachtsmärkten“. Unter die Gäste aus der queeren Szene mischen sich Freunde und Nachbar*innen. Dazu kommen Partygänger, Familien, Geschäftsleute aus dem Glockenbachviertel und Glühweinfans aus aller Welt.
Schon Ende der 1950er-Jahre haben Schwule und Lesben das Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel als Wohn- und Ausgehquartier entdeckt und hier Lokale und Geschäfte eröffnet. Die wohl wildeste Zeit erlebte die Szene in den 1980er-Jahren: Queen-Sänger Freddie Mercury hatte München zu seiner zweiten Heimat erkoren und feierte legendäre Partys in den Lokalen rund um den Gärtnerplatz. Noch immer ist die Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt der Bezirk, in dem sich das Münchner Nachtleben schwerpunktmäßig abspielt.
Die Kneipen und Kaffeehäuser im Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel tragen lustige Namen wie Holy Home, Hungriges Herz, Trachtenvogel, Gute Nacht Wurst, Ohh Baby I Like It Raw und Rostiger Pudel und bieten manchmal ungewöhnliche Serviceleistungen an wie das „betreute Trinken“ im Kooks.
Im Glockenbachviertel hat mit dem Café Maria, dem Da Guiseppe im Josef und der Eisdiele Jessas die gesamte heilige Familie eine Bleibe gefunden. Das Kaiser Otto bietet eine Kidslounge an und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass im Viertel mehr Babys geboren werden als anderswo in der Stadt. Ihre Eltern haben sich wahrscheinlich bei einem Konzert im Milla Club kennengelernt. Jetzt schuckeln sie die Kinderwägen bei einem dicken Stück Schokotarte vor dem Café Götterspeise. Im Trend liegen die beiden vietnamesischen Restaurants Annam und Chi Thu in der Pestalozzistraße. Von den Hotelterrassen der Deutschen Eiche und des Hotels Flushing Meadows, beide mit Restaurant- beziehungsweise Barbetrieb, sieht man an schönen Tagen über die Dächer des Viertels hinaus bis zu den Alpen.
Tolle inhabergeführte Geschäfte gibt es in beiden Vierteln mit allem, was nicht von der Stange kommt. Gerne auch im Erdgeschoss von mit wildem Wein berankten Jugendstilbauten. Manchmal muss man zweimal hinsehen, um zu erkennen: Das ist ja gar kein stylisches Küchenstudio, sondern eine leibhaftige Wohnküche, in der eine Glockenbachmutter mit ihrem Nachwuchs ikeaprospektmäßig Kuchen backt und das Wand an Wand mit einem Friseur, der gerade das Haar einer Kundin scheitelt.
Unvermittelt landet man ein paar Schritte weiter vor der Auslage der Schmuckdesignerin Saskia Diez in der Geyerstraße. Sie lebt und arbeitet dort mit ihrem Mann Stefan, einem der erfolgreichsten deutschen Industriedesigner. Hier entstand auch der Bürostuhl D1 von Stefan Diez, der in die renommierte Münchner Neue Sammlung - The Design Museum aufgenommen wurde. Gegenüber dem Schmuckgeschäft gibt es etwas für München ziemlich Untypisches zu sehen: ein leerstehendes Wohnhaus. Nur in der Kneipe Geyerwally im Erdgeschoss herrscht Betrieb. Ob Saskia und Stefan da manchmal drinsitzen am Abend? Oder lieber im Restaurant Makassar mit französisch-kreolischer Küche nur wenige Gehminuten entfernt die Straße runter? Der Besitzer und Küchenchef des Restaurants war in seiner Jugend Koch auf der Calypso, dem Schiff des französischen Meeresbiologen Jacques Cousteau.
Im Schlachthofviertel habe ich mal gewohnt. Die Wohnung hatte die Form eines Schuhkartons, den man nach dem Krieg behelfsmäßig in den Speicher gequetscht hatte. Das kreisrunde Fenster im Giebel war mein Schlafzimmerfenster und wie eine Art Ein- und Ausflugsloch zu meinem Nest hoch über der Isartalstraße. Von dort ist es nicht weit zum Isarkanal mit seinem irren Petrolgrün und zum Flaucher-Biergarten. Das Yol am Roecklplatz gab es damals auch schon und auch die Kultgaststätte Wirtshaus im Schlachthof mit ihren Kabarettveranstaltungen und Konzerten. Ansonsten schlief das Viertel seinen Dornröschenschlaf.
Jetzt entstehen hier wunderbare neue Dinge. In dem Maße wie der Münchner Schlachthof seinen Betrieb einstellt, kommt die Kultur und kommen die Leute ins Viertel. Seit 2015 unterhält dort die Kulturstätte Bahnwärter Thiel, ein ausgedienter Waggon, mit einer Mischung aus Theater, Lesungen, Konzerten und Clubnächten. Auf einer ausgedienten Eisenbahnbrücke um die Ecke steht die Alte Utting, ein alter Ausflugsdampfer vom Ammersee. An Deck dieses ungewöhnlichen Kulturcafés hat man am längsten Sonne. 2021 ist das Münchner Volkstheater hierher gezogen.
Auch sehr gut essen kann man im Viertel. In der vom Slow Food-Genussführer ausgezeichneten Goldmarie gibt es alpenländische Gerichte aus Bayern, Österreich und Südtirol in einer gerade richtig schlichten Wirtsstube.
Vegetarische Gerichte sind das Markenzeichen der meisten Restaurants von Szene-Wirtin Sandra Forster. Eines ihrer Restaurants ist das Roecklplatz im Schlachthofviertel, in dem sozial benachteiligte Jugendliche eine Ausbildung in der gehobenen Gastronomie absolvieren. Ein anderes ist das mexikanisch inspirierte Blitz flussabwärts beim Deutschen Museum. Das Café Tagträumer in der Dreimühlenstraße war noch Anfang der 1970er-Jahre eine Metzgerei. Aus dieser Zeit stammen die Glasdecke und der originale Sollnhofer Steinplattenboden im Ladenraum.
Von 1930 bis 1940 Polizeiwache, später Spielwarengeschäft, zwischenzeitlich auch mal arabisches Geschäft und Modestüberl: Der Tagträumer erzählt stellvertretend für die vielen Ladenlokale hier die Geschichte vom Wandel in den Vierteln. Bei der Freilegung des alten Parketts kam im Flur die verblichene Seite eines Gedichtbandes zum Vorschein, auf der zu lesen stand: „… und viele wandeln durchs Haus und leise klingen die Gläser ...“
Überquert man von der Altstadt aus kommend den Sendlinger-Tor-Platz nach rechts, erreicht man nach wenigen Minuten den Nussbaumpark an der St. Matthäuskirche. Nach dem Motto „gutes Bier und gute Musik“ werden hier im Sommer unter den Bäumen Biertische aufgestellt, Getränke ausgeschenkt und kleine Gerichte serviert. Oft mit Live Musik, welche in ein nahe gelegenes Wirtshaus ausweicht, wenn das Wetter nicht mitspielt.
Zwischen Nussbaumpark und Theresienwiese liegen in einem denkmalgeschützten Haus das Hotel Mariandl und das Café am Beethovenplatz. Von der Eichentreppe über die hundert Jahre alten Parkettböden im Hotel bis zu den hohen Kassettenendecken im Café fühlt man sich in die Zeit der Belle Époque Anfang des 20. Jahrhunderts zurückversetzt. Seit fast zwei Jahrzehnten zieht einmal im Jahr die Freie Kunstszene Münchens für eine Woche in die Hotelzimmer ein. Beim Künstlerprojekt „Zimmer frei“ trifft man dann anstelle der üblichen Hotelgäste die Künstler*innen mit Taucherbrille und Schwimmflossen in der Badewanne an.
Das Oktoberfestgelände ist ein ovaler, unbebauter und, wenn man von einem kleinen Kamillenfeld absieht, zu großen Teilen asphaltierter Platz mitten in der Stadt. Daran wird sich auch nichts ändern. Der freie Blick ist wohltuend für die Menschen und es gibt Platz genug für raumgreifende Freizeitsportarten wie das Windskaten. Der Hang dient den Kindern der Ludwigsvorstadt im Winter als Schlittenhügel. Im Frühjahr findet auf dem Gelände zum Auftakt des Frühlingsfestes Bayerns größter Flohmarkt statt.
Auch historisch ist der Ort bedeutend: Vor hundert Jahren rief Kurt Eisner nach einer Großdemo auf der Theresienwiese den Freistaat Bayern aus. Der letzte Wittelsbacher Herrscher Ludwig III. dankte ab. Die Theresienwiese ist ein Ort atemberaubender Anblicke: Das Riesenrad vor dem Alpenpanorama beim Oktoberfest oder die bunt leuchtenden Zipfel der Zelte gegen den Nachthimmel beim Tollwood Winterfestival. Die aus Bronze gegossene und 18 Meter hohe Bavaria ist die weltliche Patronin Bayerns und eines von Münchens Wahrzeichen. Zu ihren Füßen finde ich meine Freunde wieder, falls wir uns mal beim größten Volksfest der Welt aus den Augen verlieren.
Von den zahlreichen Brauereibetrieben in der Gegend der Hackerbrücke existiert heute nur noch die Augustinerbrauerei an der Landsbergerstraße. Eine Gebrauchsanweisung für echte Münchner*innen empfiehlt, bei Sonnenuntergang auf die Hackerbrücke zu gehen und bei einer Flasche Bier besagter Brauerei und einem Lieblingsmenschen an der Seite die rot glänzenden Gleise zu betrachten. Der Blick über die Schienen zum Horizont verursacht auch bei mir eine Art süßen Fernwehs.
Eine Gebrauchsanweisung für Münchner empfiehlt, bei Sonnenuntergang auf die Hackerbrücke zu gehen und bei einer Flasche Bier und einem Lieblingsmenschen an seiner Seite die rot glänzenden Gleise zu betrachten.
Weiter Richtung Hauptbahnhof ist Schluss mit Millionendorf. Hier wird die Ludwigs-Vorstadt zur Ludwigs-Großstadt. Hier ist es immer hell, hier ist immer viel los. Viele der Menschen, die sich seit den 1960er-Jahren in München ansiedelten, haben im Südlichen Bahnhofsviertel ein neues Zuhause gefunden. Die Internationalität spiegeln die Namen der Geschäfte und Restaurants wider: Sindbad, Ratchada Thai Restaurant, Fatuma SAT Shop, syrische Spezialitäten Layali Alsham, Istanbul Shop, Afro Beauty World. Dazwischen Hotels, Banken, Reisebüros, Spielhallen, Friseure, Gold-An-und Verkäufe und Hochzeitsboutiquen.
Die türkischen Supermärkte sind die erste Quelle für mich, wenn im Sommer Grillen ansteht und frischer Tintenfisch, Kräuter und Gemüse benötigt werden. Mitten im südlichen Bahnhofsviertel liegt das Deutsche Theater, Münchens Bühne für Musicals und Faschingshochburg. Einladend bunt funkelt bereits von außen die Isarbar im Fünf-Sterne-Hotel Sofitel Bayerpost in der Bayerstraße. Das 2018 neu eröffnete 25hours Hotel München The Royal Bavarian, ebenfalls in nächster Nachbarschaft zum Hauptbahnhof, bietet mit dem Restaurant Neni, dem Neni-Deli und der Boilerman Bar gleich drei unterschiedliche gastronomische Konzepte in durchgestyltem Ambiente an.
Einen Platz für gute Musik, gute Leute und gute Abende versprechen die Macher der neuen Bar Cucurucu in der Elisenstraße um die Ecke vom Hauptbahnhof. Großstadt statt Volksfest nur ein paar Schritte weiter: Im sonst sehr lässigen Café Kosmos heißt es „Come as you are“ - Hauptsache nicht in Tracht. Hier ist Oktoberfest-freie Zone. Im Lokal herrscht ein strenges Dirndl- und Lederhosenverbot. Fast nichts außer handwerklich perfekten Würsten und Bier gibt es im Bufet gleich nebenan. Frisch gestärkt gelangt man von hier in wenigen Minuten ins Münchner Kunstareal in der Maxvorstadt mit seinen weltberühmten Pinakotheken.